VON AUSSEN NACH INNEN, VON INNEN NACH AUSSEN - KUNST DES PORTRÄTS
Eine Auswahl von dreizehn Bildnissen aus dreißig Jahren zeigen den Künstler als einfühlsamen, genau beobach tenden Menschenschilderer. Den ersten Ruhm verdankt er dieser Qualität. Seine zwei Bilder von Kohlenträgern,"Udo Hasenbein" und "Der Kohlenmann", waren Aufre ger der IX. Dresdener Kunstausstellung 1982/83. Keine Abziehbilder der sozialistischen Kunstdoktrin, sondernin der Wahrheit ihres Arbeitsmilieus erfasste Mitmenschen.Die Malerei ist zurückhaltend, sparsam im Einsatz von Farbe und Licht, es herrscht ein gedämpfter Ton in grau blau-grüner Farbigkeit. Reduziert ist auch der Raum und seine Ausstattung, es bleiben lediglich die unmittelbar zur Person gehörenden Attribute wie Kohlenschaufel oder Hosenträger. Oder Rollstuhl und Krücke aus zwei anderen Porträts der frühen achtziger Jahre. Die dama lige Kunstkritikerin der F.A.Z. Camilla Blechen bemerktin Gehses Bildern "eine neue Beiläufigkeit, eine leise Iro nie, von der die Ausstellung nicht eben viele Beispiele enthält."Dazu stellt Wolfgang Thiede in seinem Katalogtext "Aibrecht Gehse, Zeitenwende" (Berlin 2005) fest: "Hier wäre der Moment für die Rezensentin gewesen,aus der geschützten bundesrepublikanischen Distanz zufragen, was denn überhaupt an die Stelle der proletari schen Inhalte treten könnte. Das "Bürgerliche" blieb ja eigentlich nur noch übrig." Und weiter: "Wir fragen uns erneut, wie es möglich war, dass der altmodisch-bürger liche Kern in Albrecht Gehses Arbeiter-Bildern von 1981 und den folgenden grandiosen Bildnissen der achtziger Jahre vom Regime und seinen publizistischen und kunst wissenschaftlichen Helfern nicht wahrgenommenwurde?Die Antwort muss lauten, dass auf diesen offenen Tabubruch des Malers niemand vorbereitet war und wohl auch nicht sein konnte. Gehse, handwerklich hochbegabt und eulenspiegelhaft vorgehend, tat sein Mögliches."Menschen, die im idealen sozialistischen Gesellschafts bild nicht vorgesehen waren, die als Schmarotzer oder Schädlinge verunglimpft wurden, oder die ganz einfach absichtsvoll übersehen wurden, waren in diesen Jahren die bevorzugten Motive für den jungen Heisig-Schüler.
Der "Rollstuhlfahrer Willy Kotschara", die "Frau mit Gesangbuch", das "Um siedlerpaar Blumrich" oder "Siegfried Purfürst bei Nacht" sind Höhepunkte einer Malerei, die Sachlichkeit mit Empathie verbindet. Der Maler schaut seinen Modellen tief in die Seele, er malt sie in ihrer Armseligkeit und ihrer Gelassen heit. Und so scheint bis heute aus diesen Bildnissen gleichermaßen das Mitemp finden des Malers wie auch die stille Würde der Gemalten.
ln den neunziger Jahren veränderte sich die Kunst von Albrecht Gehse funda mental. Aus der Enge des kleinformatigen Bildgevierts mit eingeschränkter Thematik ging es hinaus in die offene weite Welt unbegrenzter Bildentwürfe. War die Konsistenz der Malerei bis dahin eher trocken, so wird sie nun ausge sprochen flüssig und saftig. Menschenreiche Panoramen in wild-orgiastischen Farbtumulten, schwer zu durchschauende Bilderrätsel und symbolistische Ge schichtsdeutungen wechseln mit Motiven aus der privaten Sphäre des Malers. Die großen umfangreichen Bildserien und Zyklen beanspruchen den Künstler in seinem Berliner Atelier bis an die Leistungsgrenze. All sein Können setzt er ein, seine ganze Erfahrung, sein Kopf ist voll von Bildvisionen, die in schneller Folge auf die großen Leinwände drängen.
Aber neben diesen vitalen Herausforderungen braucht der Künstler Momente des Rückzugs, der Selbstvergewisserung und der Selbstprüfung: Immer wieder in der kleinen Formeinheit eines Porträts sichern, was an Fähigkeiten und Qua lität erworben wurde, und als kostbaren Schatz hüten und weiterentwickeln. Deshalb entstehen neben den umfangreichen Figurenclustern in den Großfor maten weiterhin Bildnisse, die im malerischen Charakter zwar gewandelt, aber dennoch die gleiche Ausstrahlung liebevoller Anteilnahme haben. Der Großva ter, der Freund aus alten Tagen, Verwandte und Wegbegleiter oder Auftragge ber sind nun die Modelle. Mitunter bringt sich der Maler auch selbst ins Spiel, wie in dem kostbar gemalten "Selbst mit Hecht".