Wenn Albrecht Gehse nicht im Atelier arbeitet, heißt das nicht, dass er eine kreative Pause eingelegt hat. Im Gegenteil: er hat dann nur den Arbeitsplatz gewechselt und ist auf sein Schiff gegangen. Dort  sitzt er häufig vor seiner Staffelei an Deck und malt, was der Flusslauf, der See und seine Ufer an Motiven anbieten. Der Künstler  ist seit vielen Jahren ein Freund des Wassers, der Wellen und der hohen  See. Bevorzugtes Areal ist die Müritz mit  ihren  Kanälen  und verschwiegenen Altwassern, den Brücken und Schleusen. Alles wird zur Vorlage, vieles zum Bild, in Minuten eingefangene Impressionen von flüchtiger Erscheinung, aber bleibendem  ästhetischen Reiz.
Die besondere Liebe Gehses gilt den Fischen. Ob Hecht, Zander oder Barsch- was gefangen wird, kommt auf den Tisch! Zuerst auf den Maltisch, danach auf den Esstisch. Die schönsten Bilder  verdanken wir  dieser sinnesfrohen Rangfolge.
Auch auf Gehses großen Gesellschaftsbildern tauchen immer  mal wieder Fische auf, aber nicht  als köstliche Geschenke der Natur, sondern  als Schreckensboten und Ungeheuer der Ozeane. Sie symbolisieren das dämonische Gegenbild zum Bild des Menschen von der freundlichen Natur. Im Hai, Thun oder  Blue Marlin erleben wir, wie der Fischer im Buttdes bekannten Märchens, den unheimlichen Richter über menschliche  Gier und Hybris.

Aber  solche Empfindungen befallen uns nicht  auf Gehses Veduten vom Labussee, dem Klenzsee oder dem Ellbogensee. ln dieser friedlichen Idylle  schweigt der Lärm der Welt, und vergisst auch der Maler  für  eine lange  Weile die drängenden Forderungen des großen Ateliers auf der Insel Eiswerder. 

Tränenpalast


„Der Zug fährt oben raus, die S-Bahn aus dem Bahnhof Friedrichstraße, und unten fährst Du auch vorbei. Für mich hat der Bahnhof Friedrichstraße ein Bedeutung, weil ich in meiner frühen Kindheit in West-Berlin gelebt habe, vor der Mauer. Mein Großvater, der Maler Ludwig G´Schrey, mit dem ich ein inniges Verhältnis hatte, von dem war ich jetzt auch getrennt durch die Mauer. Ich durfte 1984 zum ersten Mal mit Sondegenehmigung einen Tag raus, um die Beckmann-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie zu sehen. Zusammen mit Hartwig Ebersbach.Beim Malen habe ich die Pose eingenommen, dass ich die Fahrt vom Zug da oben mit aufgenommen habe, noch mal in der Erinnerung an die Fahrt, dieses unvergleichliche Gefühl, von Ost nach West in die Freiheit zu fahren. Das Geländer, der preußische Adler, war schon metallisch ganz toll genau gemalt, aber wegen der Bewegung, die rein sollt, habe ich den Adler mit dem Lappen verwischt.“


(Albrecht Gehse am 16 Dezember 2004)

Allen Ginsberg: Wolf Biermann vor dem preußischen Adler auf der Weidendammerbrücke in Berlin, Photographie. Um 1975

 

Allen Ginsberg:
Wolf Biermann vor dem preußischen Adler auf der Weidendammerbrücke in Berlin, Photographie.
Um 1975

Wolf Biermann

 

Die Ballade vom Preußischen Ikarus Lyrics

 

Da, wo die Friedrichstraße sacht 
Den Schritt über das Wasser macht 
da hängt über der Spree 
Die Weidendammerbrücke schön 
Kannst du da Preußens Adler sehn 
wenn ich am Geländer steh

dann steht da der preußische Ikarus 
mit grauen Flügeln aus Eisenguss 
dem tun seine Arme so weh 
er fliegt nicht weg - er stürzt nicht ab 
macht keinen Wind - und macht nicht schlapp 
am Geländer über der Spree

 

Der Stacheldraht wachst langsam ein 
Tief in die Haut, in Brust und Bein 
ins Hirn, in graue Zelln 
Umgürtet mit dem Drahtverband 
Ist unser Land ein Inselland 
umbrandet von bleiernen Welln

da steht der preußische Ikarus 
mit grauen Flügeln aus Eisenguss 
dem tun seine Arme so weh 
er fliegt nicht hoch - und er stürzt nicht ab 
macht keinen Wind - und macht nicht schlapp 
am Geländer über der Spree

 

Und wenn du weg willst, musst du gehen 
Ich hab schon viele abhaun sehn 
aus unserm halben Land 
Ich halt mich fest hier; bis mich kalt 
Dieser verhasste Vogel krallt 
und zerrt mich übern Rand

dann bin ich der preußische Ikarus 
mit grauen Flügeln aus Eisenguss 
dann tun mir die Arme so weh 
dann flieg ich hoch - dann stürz ich ab 
mach bisschen Wind - dann mach ich schlapp 
am Geländer über der Spree