Der Zyklus "Aufruhr-50 Bilder über die Welt" von Albrecht Gehse - Rede von Prof. Christoph Stözl im Atelier (April 2013)

Diese Kunst ist nichts für Zartbesaitete.  Sie stört und verstört, sie tritt zu nahe, zwingt den Betrachter zu einer tour de force durch die rätselhafte innere Welt des Malers, wird auch zur Belastungsprobe, sodass man sich manchmal unter dem Hinschauen einen friedlicheren Ort wünscht. Wie soll man Gehses Kraftmalerei nennen? Eine Walpurgisnacht, Pandämonium? Man muss sich jedenfalls wappnen und sich vornehmen, ruhigen Blick zu bewahren.Kein Zweifel: Der Mann traut sich etwas zu. Gehses Malerei hält sich nicht zurück,sie springt den Betrachter an, will raumschaffend und überwältigend sein. Gehse ist sich seiner Sache ganz sicher - des stürmischen Maiens so gut wie des Navigierens auf dem Ozean seiner Erinnerungen,  Träume, Albträume.

 


"Man erzählt sich, ein großer Kunsthändler - Ambroise Vollard, welcher Cezanne in die Kunst eingebracht hat, beschrieb in seinen Memoiren eine Annektote: Als in Paris die ersten Van Gogh-Bilder in seinem Schaufenster standen, haben diejenigen Ehemänner, die eine junge schwangere Frau dabei hatten diese schnell weggezerrt, damit dem Kind nichts bleibt von dem Anblick dieser verrückten Bilder. Das ist lange her, wir haben uns daran gewöhnt, dass die Kunst Revolutionen macht und das Literatur uns empört. So wie Kafka gesagt hat: "Ein Buch muss sein wie eine Axt für das gefrorene Meer in uns!"  Das ist lange vorbei - wir sind kaum mehr zu schockieren. Auch als Femseh-Zapper. Und wenn es einem Künstler derGegenwart gelingt, dass man doch baff ist und erstmal stumm wird vor dem was passiert- das ist sehr rar. Bei Gehse passiert uns das, sie haben das sicher auch erlebt. Aus zwei Gründen: Wegen dieser unglaublichen Motiv-Vielfalt-aber auch wegen der Formate. Es ist ganz ganz selten in der Kunst, dass jemand solche gewaltigen Formate wählt. In der Kunstgeschichte erinnert man sich an Rubens, der dieses unglaublichen  Zyklen gemalt hat. Oder an die großen Tapisserien aus Brüssel.

 

Großes Format ist auch großer Mut. Und Zyklus ist auch großer Mut. Inder Kunstgeschichte  gibt es gar nicht so viele große Zyklen - also ein Bildehennach dem anderen malen und es dann verkaufen ist natürlich einfacher. Da tut das Problem, dass man sehr hoch greift und dann ganz tief fällt, nichts zur Sache. Gehse tut es und darum ist er ein Einzelgänger. Das er ein  Einzelgänger ist und trotzdem Atelier hat liegt an der Treue der Leute, die ihn über lange Zeit  als Sammler begleiten- nicht unbedingt an den Kunstmarkt - der Kunstmarkt kommt immer irgendwann. Irgendwann kommt er und gewinnt am Schluss, dass kann ich ihnen auch garantieren, weil mein Vorredner ja von der Wertanlage gesprochen hat. Ich hatte ja nach meinem sehr sehr langen Museumsleben auch am Schluss ein Kapitel im Auktionshandel,  im Kunstandel hinzugefügt - und das Erstaunliche ist: Es gibt nichts langfristig wertbeständigeres als bemalte Leinwände. NichtSkulpturen komischerweise,  die sind zu schwer, die kann man auf der Flucht nicht mitnehmen, aber bemalte Leinwand, die man ja auch rollen kann. Rubens wurde immer eingerollt, wenn die Kriege kamen. Bemalte Leinwand figurativen Inhalts - also mehr als schwarze Quadrate oder nur so ein Grauschleier,  figurative Malerei ist  über die Jahrhunderte  betrachtet dasjenige, was die größte Wertsteigerung hergibt.

 


Gehse ist sicher auch eine Wertanlage, aber zunächst ist er ein Skandal, für dasAuge ein Schock, etwas das zutiefst verstört- ein Einzelgänger.Was macht dieser Kerl, der mit der Pranke des Löwen malt? Er ist ja, und das kann man überall nachlesen und googeln - ein Zögling der großen ostdeutschen figurativen Maltradition. Warum ist die weltweit so erfolgreich, mit vielen Namen die sie kennen, Neo Rauch usw.? Weil in der DDR, unter einer Art Glasglocke, die akademische Mal- und Zeichenausbildung überwintert hat. Übrigens genauso wie in St. Petersburg- und in Spiegelung auch bei den Chinesen, die den Sowjets allesnachgemacht haben.Die große Tradition des Malhandwerks, des Zeichenhandwerks - die Ergreifung der Realität durch Kunst hat in der DDR eben überdauert, weil sie nicht diese rapide Wandlung zur Abstraktion, zum Environment, zum Happening mitgemacht hat - sondern man darauf bestanden hat, dass die Leute, die auf die Akademie gehen auch richtige, echte Künstler werden.Das macht dann - wenn man sich freischwimmt wie Gehse das ja getan hat- den großen Vorteil aus, dass man eigentlich alles kann. Sie haben die Bilder gesehen, da gibt es alles: Von der Skizze, vom Hingeworfenen  bis zum pingelig gemalten Realismus bis zum Surrealismus -große malerische Qualität mit Pinselhieben, zeichnerische Qualität- der Mann kann alles, er verfügt frei darüber, das ist sicheretwas, was er da in seiner Jugend gelernt hat. Und wo die DDR recht hatte, hatte sie recht: Nämlich in Bezug auf ihren Traditionalismus  in der Kunst.Aber was macht er in diesem großen Zyklus? Er nimmt uns an die Hand, er öffnet sein Welttheater und führt uns in eine Welt, in der Traum, Albtraum und Realtität auf komische - erschreckende - vor allem aber auf ganz rätselhafte Weise amalgamiert sind. Wer einmal bei Sigmund Freud nachgelesen hat was Träume sind weiß, dass Träume keiner Logik folgen. Träume sind der Schutthaufen der Erfahrungen aus unserem eigenen Leben, da spielen unsere Verwandten eine riesige Rolle, aber auch die Geschichte. Und Freuds großer Konkurrent C.G. Jung in Zürich ist noch auf etwas anderes gekommen, was sicher stimmt: Es gibt auch ein kollektives Träumen. In uns drin sind auch die Gedanken und die Schrecken, die Hoffnungen, das Glück und das Unglück der vielen Generationen die vor uns waren- das hat die neuere Genetik ja auch nachgewiesen- es gibt erworbene Veränderungen. In diesem Kopf von uns stecken Jahrtausende drin, und die Maler des Surrealismus, damals als Freud ganz neu war, Dali und seine Kollegen haben ja so ein "bisschen  brav'' all das nachgemalt.

 

Bei Gehse geht das weiter. Er weiß, dass dieses große chaotische, kollektive undindividuelle Träumen nicht in irgendwelche Idyllen oder Anti-Idyllen gebannt werden kann- sondern wo Chaos ist, da sagt er das auch.Ich glaube, man würde jetzt zu weit gehen, diese Bilder im Einzelnen ganz genaudeuten zu wollen, das kann man natürlich tun- aber das wird dann ein Lexikon. Welches dann sehr aktuell wäre, denn die Freude von Albrecht Gehse am Seefahren und Fische fangen verbindet mit dem Albtraum der Diktatoren, der Katastrophen, der Gulags, der Konzentrationslager, der Atombomben, der Nazihorden. Aber zugleich erscheinen auf diesen Bildern die Zwerge aus dem Märchen- und in der Wiege liegt nicht ein "Jesulein" sondern ein gefräßiger Löwe. Treppen führen ins Nichts, dort wo man glaubt an einem Steg an Land gehen zu können, wartet dahinter der nächste Bordstein- die nächste Welle. Es ist Traum-Malerei, aber sie ist eben nicht nur Individualistik, das ist ganz wichtig. Esist auch eine Weltgeschichte,  vornehmlich des 20. Jahrhunderts, das ist eingebrannt wie die Tätowierungen dieser Leiden von 1914 bis 1989, die in der Seele jedes Menschen sind, in jede Familiengeschichte eingewoben. Wenn wir hier jetzt miteinander darüber reden würden was die Schicksale unser Väter, unsere Großväter, Onkel, Tanten, Brüder, Schwestern gewesen sind in den letzten 100Jahren, dann würden wir ein großes Weinen an den Wassern Babyions zu Wege bringen. Das ist so. Das Glück ist im 20. Jahrhundert die Ausnahme, das Unglück die Regel. Und davon handeln auch diese Bilder. Sie sind- ich sage es nochmal­ starker Tobak, sie sind keine leichte Kost.

 


Kunsthistorisch  hier etwas herzuleiten ist ja nunmal die Aufgabe der Kunsthistoriker. Die sagen immer, dieser Schnörkel ist der Urenkel von jenem Schnörkel- und dann der immer und jener! Das führt hier ein bisschen- aber nicht weit! Natürlich ist Gehse der Schüler von Reisig, das ist gar keine Frage. Aber wer die Reisig-Bilder  kennt, diese geschichts-didaktischen, belehrenden- wo man weiß, das sind die Guten - das sind die Bösen, das ist dieses und jenes Geschichtsereignis - der weiß, Reisig ist sozusagen die letzte Station des großen Historienbildes  gewesen. So wie früher in den Museen hing: "Kolumbus entdeckt Amerika","Washington crossing the Delaware" oder "Thälmann auf der Barrikade", "Marx trifft Engels im Cafe". Die junge DDR liebte solche Bilder. Reisig hat das kritisch weiterentwickelt, aber er ist im Grunde ein Historienmaler mit relativ simplem Programm geblieben. Mit Gewissheiten. Gehse hat überhaupt keine Gewissheiten mehr, insofern zieht er die Summe aus unserer Gegenwart, derer wir tatsächlich keine Gewißheit haben.Auch Helmut Kohl, der ja die große Wiedervereinigungstorte  anschneidet, ist doch schon ein bisschen dämonisch: Ein lieber alter Onkel ist er nicht. Vielleicht waren sie jemals im Kanzleramt und haben das Bild gesehen, das Gehse von Kohl gemalt hat? Wahrscheinlich, und obwohl es nicht ähnlich ist im fotografischen Sinne, was viele Leute ärgert, ist es ungeheuer ähnlich im psychologischen  Sinn. Denn der Kerl, der da Helmut Kohl ist, das ist ein Wirtshaus-Raufer, der sozusagen die erste Schlägerei hinter sich hat undjetzt den Maßkrug greift und sagt: "Jetzt geht's wieder los!"Das ungeheuer Kämpferische dieses trotzigen Titans hat es Gehse angetan -nicht die  Milde des pfälzer Staatsmannes. Die Wahrheit bei Gehseist immer eine gebrochene, eine gespiegelte, eine zitierte. Und überall wo wir glauben, wir haben jetzt ein wenig Boden unter den Füßen, zieht er uns ganz schnell den Boden weg­ und wir plumpsen runter!Wohin? Ins Wasser. Natürlich ins Wasser. Auch die Traumdeuter  von Freud bis hin zu den  alten Ägyptern wussten: Das Wasser ist das Unbewusste, das Wasser istdas, woraus die Welt kommt - und wohin sie vermutlich auch einmal wieder versinken wird. Die Wasserbewohner sind viel älter als wir Menschen, die wir erst in der Schlusssekunde der Erde eine Rolle spielen. Aus dem Wasser kommen wir und irgendwann kommt das Wasser und holt uns alle. Wohl denen, die sich dann schon auskennen wie Gehse.Fauna, Flora, Architektur, Theaterräume.

 

Es ist ein unerschöpfliches  Schauen:Mutter Theresa und Hermann Göring- Sex & Crime, Hexen und Hexenmeister, Marilyn Monroe aber auch  Rudi Dutschke, aber auch Merkel. Die Loreley lockt den Fettwanst ins Wirtschaftswunder, in den Abgrund. Nicht ein Drache wohnt da oben sondern wiederum ein Meeresgetier. Also: Sicherheiten gibt es hier nicht, hier gibt es jede Menge Unsicherheiten. Es ist auch komisch - das muss man auchsagen, es ist auch lustig - Gehse macht das, was die großen Historiker immer gesagt haben: Geschichte ist die Sinngebung des Sinnlosen. Dieser Geschichtswirrwarr ist natürlich sinnlos, ungerecht ist er außerdem. Die Guten kommen auf Erden nicht in den Himmel, die Bösen  leider nicht in die Hölle, auch hinterher wissen wir esnicht. Gehse verleugnet nicht, dass es manchmal komisch ist, was die Menschen tun, wen sie fressen - oder wenn sie selbst gefressen werden. Ikonografie, ich sage es nochmal: Das was Kunsthistoriker  lernen aus dicken Büchern- diese Handbewegung bedeutet dies, jene das. Sehr wohl, diese Ikonografie gibt es auch, da müsste man sich sehr, sehr durchbeißen um herauszufmden, was er denn nun eigentlich gemeint hat.Es ist ein Kunst nicht für Zartbesaitete. Sie ist auch nicht geschmackvoll- unddamit ist er ganz modern. Es gibt einen durchgehenden Zug in der jetzigenPostmoderne, der inzwischen nichts mehr zu tun hat mit dem, was große Preise bringt, also Klassische Modeme um 1900, und die ist, wenn sie es mal ernstlich bedenken, für uns schon das, was für die Menschen des 19. Jahrhunderts die Antike war. Wie sie damals sagten: Nichts schöneres als Griechisch- so haben wir jetzt nichts schöneres als Munch und Mare und Macke und Klee und Picasso. Diese Antike, wo sich alles noch so fiigte zu einer doch relativ heilen Welt, die ist vorbei. Sie war auch geschmackvoll.  Gehses Bilder kann man nicht gut komponieren zur Couch in beige - sie passen und passen nicht, sie sind verstörend, sie sind wie ein Keil, die Axt fiir das gefrorene Meer in uns. Überwältigend.  

 

Wer sich nicht gerne überwältigen lassen will, wer ein schwaches Gemüt hat, sollte nicht zu Gehsegehen und nicht bei Gehse bleiben.Noch etwas, was auffällt- es ist ja große Malerei! Malen ist ja nicht nur ein "sich zum Bild hinschummeln",  sodass es so aussieht wie was, sondern Malen ist ein ganz physischer Vorgang. Die Farbe wiegt was, die klebt, die ist dick, dann brauchtman einen Pinsel, und dann kann man friemeln oder man haut es hin.Gehse ist ein richtig typischer Maler, ein großer Pinselmaler und gehört, wenn man überhaupt nach Vorbildern oder einer Tradition fragt, unbedingt in die rare Tradition deutscher Pinselhiebmeister  wie Corinth und Slevogt. Corinth, wenn Sie mal ein bisschen googeln, werden Sie sehen: Da gibt es in der Tat eine große Geistesverwandtschaft, keine Abhängigkeit. Corinth war auch ungenießbar­ gerade für die Franzosen, die fanden es schrecklich, so geschmacklos, so deutsch, so wild, so kraftvoll. Eben nicht passend zum Möbel sondern unpassend zu allem. Die großenUnangepassten-es ist diese Familienverwandtschaft, in die Gehse hineingehörtSex & Crime, Mord und Totschlag, wenig Idyll und aus den Wassem steigende Täter wie Opfer. Ich kenne überhaupt kein vergleichbares  Werk im 20. Jahrhundert, wo sichjemand gewagt hat so einen Zyklus zu machen. Wenn Sie bedenken, einer der berühmtesten Zyklen der entsprechenden  phantasmagorischen, surrealistischen  Geschichtsmalerei  ist winzig klein. Es sind die winzig kleinen Radierungen  von Goya, "Los desastres de la guerra". Das ist auch was - das ist absoluter Albtraum! Das ist ja keine Bürgerkriegsreportage von 1809- sondern es ist die Verwandlung dieses entsetzlichen  Geschehens in Albträume. Aber das ist winzig klein. Große Zyklen gibt es wenig. Wenn sie ein bisschen in die Kunstgeschichte schauen, gibt es diese Bedrückung, dieses Rätselhafte dann nur in dem großen Bild von Max Heckmann "Die Nacht" von 1918/19, wo er sich den Weltkrieg und die Revolution von der Seele gemalt hat.Ja - warum sind wir dann da, wenn das alles so schlechte Laune macht? Weil es die Kunst in dieser Form- eben ins Quadrat- doch erträglich macht. Ich weiß nicht, ob sie jemals darüber nachgedacht haben, wie abhängig unsere Kultur vom Rechteck ist? Wir sind absolut rechteckbesessen, bis hin tafelbildbessen.Der Computer ist ein Tafelbild. In den Museen, wenn sie die Berliner Diskussionjetzt verfolgen, weiß man, das Skulpturen-Museen nicht besucht werden. Darum jetzt dieser Riesenstreit darüber, ob man die Gemälde auf der Berliner Museumsinsel nicht ins Bode-Museum reinstecken kann - sonst kommt keiner.Das Tafelbild ist unsere Beschwörung, unser Fallschirm, unser Rettungsring, unser Haltegriff. Wir glauben ansonsten, dass alles wegrutscht- aber im Tafelbild ist unten unten, oben oben, rechts rechts, links links - und drumherum ein Rahmen. Es ist eine Beschwörungsform. Darum sind Bilder des Schreckens auch schöne Bilder-natürlich sind das alles auch schöne Bilder... keine heile Welt aber doch ein gutesEndeWir sind vorhin herumgegangen,  ich habe das alles auch ein Jahr nicht gesehen, und es verwandelt sich- es ist wahrscheinlich auch so, wenn sie ein Bild kaufen, dann kommt der Kerl einmal im Jahr und sagt, ich muss es nochmal übermalen (Gelächter) - laut dem deutschen Urheberrecht darf er das, das darf nur er- Oetzt schmunzelnd) wir wissen es nicht!

 

Es beginnt mit dem Meer, mit der Welle, den Wellen, die Gehses Urelement sind. Und es endet mit einem Mann im grauen Anzug, der aus dem Wald zu dem  ihn erwartenden Weib kommt- was ist das? Es ist die Ur-Erzählung Europas. Die Ur­ Erzählung Europas, geschrieben 750 v.Chr. von einem Mannnamens Homer. Die "Odyssee" ist die Ur-Erzählung von Männem die ausziehen, die Abenteuer erleben, die beinahe zu Grunde gehen: Von Kirke verlockt, von Charybdis gefressen, vonden Sirenen betäubt- und irgendwann heimkommen zu der Frau, die brav 20 Jahregewartet hat. Die Odyssee ist natürlich auch ein Grundmotiv, die Odyssee der Weltgeschichte - immer auch mit Gehse, er taucht oft auf. Auf dem Klassenbild, als Cicerone, als Fischer,  als Fährmann, der Fährmann Odysseus, Gehse als Odysseus aus Eiswerder führt uns durchs Jahrhundert. Und er zeigt uns etwas am Schluss, was wir längst wissen, nämlich von Rilke, der hat das schon 1918, 20,13,14 keine Ahnung, wir googeln- er hat jedenfalls gesagt: "Wer spricht vomSiegen? Überstehen ist alles!" Herzlichen Dank!"(Applaus)

Ein großer Einzelgänger ist zu entdecken - Der Zyklus "Aufruhr-50 Bilder über die Welt" von Albrecht Gehse

Von Christoph Stölzl

Welttheater in 50 Akten

Diese Kunst ist  nichts für Zartbesaitete. Sie stört und verstört, sie tritt zu nahe , zwingt den Betrachter zu einer  tour de force durch die rätselhafte innere Welt des  Malers, wird auch zur Belastungsprobe, sodass man sich manchmal unterm Hinschauen einen friedlicheren Ort wünscht. Wie soll man Gehses Kraftmalerei nennen? Eine Walpurgisnacht, Pandämonium?  Man muss sich jedenfalls wappnen und sich vornehmen, ruhigen Blick zu bewahren.  Kein Zweifel: der Mann traut sich etwas zu.  Gehses Malerei hält sich nicht zurück, sie springt  den Betrachter an, will raumschaffend und überwältigend sein. Gehse ist sich seiner Sache ganz sicher -  des stürmischen Malens so gut wie des Navigierens auf dem Ozean seiner Erinnerungen, Träume und Albträume.Darum hat er, vorbereitet durch systematische Erprobung großer Formate, den Entschluss zu einem   „Opus magnum“ gefasst. Wann, wenn nicht jetzt? Das  Bilderpanorama eines Welttheaters, vorgeführt in 50 Akten, ist im Atelier auf der Insel Eiswerder (Berlin) zu besichtigen. 


Gehses Ort in der jüngsten Kunstgeschichte

Bei manchen Bildern spürt man noch den Einfluss von Gehses Leipziger Lehrer Bernhard Heisig und dessen tragisch eingefärbten Moralismus. Freilich, wo Heisigs Geschichtsbilder mit der Kenntnis der deutschen Historie ein Schlüssel zur Verfügung steht, da sind Gehses Bildwelten trotz aller wieder erkennbaren Elemente aus der deutschen Geschichte   viel rätselhafter und explosiver,  sie sind, um es drastisch auszudrücken, wie mit dem Malmittel Dynamit gemischt. Nicht die am Ende didaktischen Zielen verpflichtete Heisig-Tradition scheint hindurch, sondern die Erinnerung an die dämonischen Albträume der  Höllen- „Nacht“ von Max Beckmann.

 

Komplexe Bildbühnen

Was Gehses spannungsvolle Bilder auszeichnet, ist etwas, was selten genug ist in der zeitgenössischen Kunst: die Schaffung eigener Mythen, in großem Format und mit großem Atem.  Nicht das einzelne Motiv oder Bildnis interessieren den Künstler, sondern Gruppierungen von Menschen, Motiven, Situationen. Gehse konzentriert ganze Konstellationen der Gesellschaft in einem Bildraum, der fast immer mehrere Handlungsebenen auf ineinander geschachtelten Horizonten zusammenfasst.Der Repräsentation von Komplexität dienen sowohl verschiedene Perspektivtypen und –Gewichtungen wie verschieden intensive malerische Behandlungen der Bildoberfläche und  mehrfach gebrochenen Konstruktionslinien. 

 

Gehse malt meist Porträts wirklicher Menschen, auch in Gruppen. Jedes Gemälde liefert das Abbild einer gesellschaftlichen Konstellation und nimmt damit einen Gestus auf, der in der europäischen Malerei der älteren Kunstgeschichte wohlbekannt ist. Das Bildgeschehen ist dem menschlichen Vorstellungsraum nachgebildet, es vereint alle Teile der „Handlung“ nach ihrer Bedeutung angeordnet auf verschiedenen Ebenen in einem Rahmen.Die Anwesenheit von Wasser und seinen Bewohnern, den Fischen, in fast jedem Bild deutet auf eine Weltsicht, in der das  Unterbewußte gleichrangig ist mit dem Bewussten.Immer wieder in seinen Bildern anwesend ist auch der Künstler selbst. Seine Figur führt uns durch ein Geschehen, das  durchgängig als Spiel erfasst ist, sozusagen die „Welt als Wasser und Spiel“.Im Geschehen sind beide Geschlechter gleichermaßen präsent. Nacktheit deutet nicht immer auf Sexualität, meist auf Sensibilität (Hautlosigkeit), Offenheit. Die  unterschiedliche Dichte und Perfektion der Malerei, ihre offenkundigen „Fehler“ sind bewusste Strategie Gehses, sie verweisen auf die Unvollkommenheit und Unübersichtlichkeit alles Gesellschaftlichen. Fragment und Collage sind Elemente einer  neuen Romantik, die Untiefen und Unschärfen als bewusste Sprache kultiviert. Dass der Betrachter bei der Sache bleibt bei soviel Geheimnis, liegt an der Unmittelbarkeit von Gehses Malerei, die auch ohne Kenntnis -3-der ikonographischen Programme begeistern kann.  Ob man ein Bild aus jungen Tagen nimmt („Kohlenträger Udo Hasenbein“ 1981), das Kanzlerporträt Helmut Kohl (2003) oder die gerade beendeten „Jagdhüttenweihnacht“ und „Fischerhütte“ aus dem neuen großen Zyklus – immer beeindruckt, wie der Energiefluss der Malerei das Bildmotiv zu magischer Präsenz führt. Wenn man  der farbigen Wucht und dem Getöse des mächtigen Impastos standhält und sein Auge langsam über die wüste Oberfläche der Leinwand gleiten lässt, zeigen sich dem Freund der Malerei Subtilitäten und Nuancierungen in größter Reichhaltigkeit, die man nach dem tosenden Beckenschlag des ersten Blicks nicht vermutet hätte. Zudem fesselt eine stupende Könnerschaft des Zeichners Gehse, dem sich kein Gesicht und kein Gegenstand entziehen kann. 

 

Das Programm des Zyklus

Der in den Entwürfen vorliegende und auf den großen Leinwänden entstehende Zyklus „50 Bilder über die Welt“ entwirft vor unseren Augen ein Panorama von Natur, Gesellschaft und Geschichte einmal in einfachen, ein anderes Mal in komplizierten Allegorien, daneben  auch in „Schein-Allegorien“, wo es sich vielleicht nur um Figuren-„Cluster“ handelt, ohne stringente Beziehung zueinander. Dabei verlässt Gehse nie die reale Anschaulichkeit, was wir sehen sind Szenen aus unseren bekannten Umständen und Umgebungen, dem malerischen Duktus entsprechend möchte man sagen, es ist „das pralle Leben“, ohne Abstraktionen oder Verkürzungen.In fast jedem Bildentwurf ist der Weg von der  Idylle zur Katastrophe nicht weit. Zur Sicherheit gesellt sich die Gefahr, zum Spaß das Entsetzen, zum Fressen das Gefressenwerden. Das Terrain seiner Schauplätze ist häufig das schwankende Schiff, das aufgewühlte Meer oder die morschen „Bretter, die die Welt bedeuten“. In  der Vielzahl der Anspielungen und Bildmetaphern, die immer auch autobiographisches Material verarbeiten, gerät der Betrachter  in den Sog der Bilderfolge, die von steter Unruhe gefüllt ist, von rastlos treibender Energie. 

 

Albrecht Gehse - Werdegang

Um die malerische Entwicklung des Zyklus „50 Bilder über die Welt“ besser verstehen zu können, ist ein Blick auf die künstlerische Vergangenheit des Malers wichtig.

Begonnen hatte Gehse mit  einfühlsam gestalteten Porträts in der Tradition des Realismus, mit denen ihm Anfang der achtziger Jahre ein spektakulärer Durchbruch gelang. Seitdem ist der aus der „Leipziger Schule“ hervorgegangene Künstler unbeirrt seine eigenen Wege gegangen. Sie haben ihn mehr und mehr zu expressiv-visionären Gesellschaftsbildern geführt, besondere Höhepunkte sind dabei die großen Programmbilder aus den Jahren 2004-2006 („Varieté“, „Das Narrenschiff“, „Tischrunde“, „Orson Welles, nachdenklich“, „Melodie der Kreuzzüge“, „Abdul mit dem Hammer“, „Das Sklavenschiff“, „Glücksbringer“ u. a.).  

Ein Vergleich der frühen Bildnisse aus den achtziger Jahren in Leipzig mit dem 2003 entstandenen Staatsporträt „Bundeskanzler Helmut Kohl“ ist besonders interessant.Die Bildnisse der achtziger Jahre sind allesamt delikat ausgeführt, mit wenigen farblichen Aufwendungen. Sie weisen den Maler als ruhigen Beobachter aus, der mit psychologisch vertiefter Charakteristik und makelloser Malerei das Gegenüber in seine Obhut nimmt.Gehses in vielerlei Ausdrucks-Varianten vorgetragener Prostest gegen die Allmacht der sogenannten Partei der Werktätigen, gegen ihr permanentes Kampfgeschrei, gegen die offene und heimliche Gängelung des Einzelnen im Namen eines kollektiven Glücks- und Heilsversprechens ist die Grundmelodie in seinen Bildnissen der achtziger Jahre. Sie klingt mächtig auf in den seelisch durchwärmten Bildnissen „Siegfried Purfürst bei Nacht“ (1981), „Siegfried Purfürst unterwegs“, „Umsiedlerpaar Blumrich“, „Alfred Florstedt“, „Frau mit Gesangbuch“ (sämtlich 1986), „Mann mit Fisch“ (1987) und anderen.Gehses Porträts waren trotz ihrer äußeren Ruhe untergründige Bekenntnisbilder, sie formulierten eine Anti-Position zur kollektiven Seelenlage der offiziellen  DDR, ihrem Schematismus aus geduckter emotionaler Haltung und Selbstzufriedenheit. 

 

Gehses Kanzlerporträt von 2003

Das Gesicht Helmut Kohls („Bundeskanzler Helmut Kohl“, 2003) stellt in allem einen Gegenpol dar zu den genauen Schilderungen der äußeren Erscheinung in Gehses Bildnissen der achtziger Jahre. Beim Kanzlerporträt würdigt Gehse – immerhin handelt es sich um einen -5-Staatsauftrag, ein klassisches  Staatsporträt – die gesellschaftliche Stellung, das politische und moralische Gewicht des Mannes. Gehse bemüht sich jedoch nicht um Porträt-Ähnlichkeit im hergebrachtenSinne. Es findet eine luzide malerische Beschreibung statt, die im Sinne der malerischen Doktrin der Moderne aus den Fragmenten der Wirklichkeit eine neue Wirklichkeit im Bildnis zusammensetzt. Dies geschieht auch unter Verwendung früherer Bildeindrücke vom Dargestellten. Das Ergebnis ist, dass trotz psychologischer Vertiefung das Bildnis Helmut Kohls gerade in seinem psychologischen Ausdruck rätselhaft bleibt. Da ist auf der Seite des Malers nichts zu spüren von der Scheu, die viele Künstler vor dem ganz Anderen der großen Politik haben und die sich dann als Filter der Wahrnehmung zwischen sie und ihr Modell schiebt.Was Gehse zuerst gesehen und dann gemalt hat, ist der vulkanische Kern von Emotionalität, aus dem Kohl sein ganzes politisches Leben lang gezehrt hat.? Ein Gesicht und Hände in den glühendsten Farben der menschlichen Haut. Rubens und Kokoschka haben so gemalt, wenn sie Leidenschaft, die heiße Flamme des Eros ins Bild setzen wollten. Gehses Kanzler lässt deutlich seinen Widerwillen gegen das zu enge Gehäuse der Konventionen spüren, die als uniformes Anzug-Blau der politischen Klasse Grenzen zu setzen versucht.Der Kopf, die Stirn, die Augen sind die Hauptsache. Wir sehen einen Menschen ohne Statussymbole, einen Ungeduldigen, der gleichsam auf dem Sprung ist. Gehse lässt ihm nicht einmal das Wiedererkennungszeichen des mächtigen Körpers. Sein Kohl ist längst hinaus über den Parteitribun, der von rhythmischem Klatschen begleitet, alle überragend, in einen Saal einzieht. Gehses Kohl ist nur Wille, Vorstellung, Leidenschaft und, so merkwürdig dies klingen mag, auch Leiden.

A great loner to be discovered - The cycle “Turmoil – 50 Pictures about the World” by Albrecht Gehse

World theatre in 50 acts

This art is not for the faint-hearted. It disturbs and unsettles, it offends, it forces the viewer to undergo a tour de force through the mysterious inner world of the painter; it becomes a test of stamina, making us whish for a more peaceful place while looking at it. How shall Gehse’s power painting be called? A Walpurgis Night, a pandemonium? In any case, we should brace ourselves and decide to maintain a calm look.  

There is no doubt: This man trusts himself. Gehse’s painting does not take a backseat, it jumps at the viewer, it wants to create space, to be overwhelming. Gehse feels very confident – about his painting as well as about navigating on the ocean of his memories, dreams, and nightmares.

This is why, prepared by a systematic testing of large formats, he dared an “opus magnum”. It’s now or never. The panoramic painting of a world theatre, presented in 50 acts, can be visited on the island of Eiswerder in Berlin. 

 

Gehse‘s place in most recent art history

The influence by Bernhard Heisig, Gehse’s teacher from Leipzig, and his tragic moralisation can still be sensed in some paintings. Certainly, the knowledge of German history might be a key to Heisig’s historical paintings, but Gehse’s imagery is much more mysterious and explosive despite all recognisable elements of German history, as if blended with dynamite, to put it the drastic way. It is not the Heisig-tradition committed to didactical goals that shines through, but the memory of daemonic nightmares of Max Beckmann’s “Hell’s Night”.

 

 

 

 

 

 

 

Complex image scenes

Gehse’s tense images are characterised by something very rare in contemporary art: the creation of his own myths on large formats and with a large breath. It is not the individual motive or image that the artist is interested in but groups of people, motives, and situations. Gehse concentrates entire constellations of society into one space, nearly always embracing several levels of action on intertwined horizons.

Complexity is represented by different types of perspectives and weightings as well as in different ways of surface treatment and repeatedly broken lines of construction.

 

Gehse mostly paints portraits of real people, often in groups. Each picture represents a societal constellation taking up an attitude that is well-known in European painting of the early history of art. The image narrative reproduces the human space of imagination, combining all parts of the “narrative” arranged according to their significance on different levels in one frame.

The presence of water and its inhabiters, the fish, on nearly every tableau indicate a worldview where the subconscious is on the same level with the conscious.

In many cases, the artist himself is also part of his paintings. His figure leads us through the events that are consistently grasped as a game, quasi a “world as water and game”.

Both sexes are equally present in the events. Nudeness does not always refer to sexuality, but mostly to sensitivity (skinlessness), openness. The variable density and perfection of the painting, its obvious “faults”, are a deliberate strategy of Gehse, they point to imperfection and complexity of everything that is linked to society. Fragment and collage are elements in a new romanticism cultivating shallows and fuzziness as an intentional language.

 However, it is Gehse’s directness that makes the viewer keep at his paintings that are able to enthuse them even without knowing the iconographic programmes.

 

Be it a picture from his younger days („Der Kohlenträger Udo Hasenbein“ [The coal hiker Udo Hasenbein] 1981), the portrait of chancellor Helmut Kohl (2003) or the recently completed „Jagdhüttenweihnacht“ (Christmas at the hunting lodge) and „Fischerhütte“ (Fishing hut) from the new great cycle – it is always impressive how the flow of energy leads the theme of the pictures to a magical presence. If you are capable of bearing up against the colourful impact and the roar of the powerful impasto, and make your eyes wander over the rude surface of the canvas, friends of paintings will recognise an abundance of subtleties and shadings that one would not have presumed after the tumultuous cymbal crash of the first sight. In addition, Gehse’s stupendous drawing skills that are inescapable for faces just as for objects also mesmerize the viewers. 

 

The Programme of the Cycle

The cycle “Aufruhr - 50 Bilder über die Welt” (“Turmoil – 50 Pictures about the World”), that exists currently as drafts, but is coming into being on large canvasses, designs a panorama of nature, society, and history in front of our eyes – sometimes in simple, sometimes in complex allegories, but also in fictitious allegories, which may be only figure clusters, without any stringent relation to each other. Thereby, Gehse does never leave the real purity; what we see are scenes from our familiar circumstances and surroundings. According to the painterly characteristics, you might want to say, it is “vibrant life”, without abstractions or reductions.

In almost every draft, the path from idyll to catastrophe is not too long. Safety is joined by risk, fun by horror, eating by being eaten. The settings are often the unsteady boat, the troubled sea, or the brittle “boards that mean the world”. In the variety of insinuations and image metaphors that always handle autobiographic material, too, the viewer gets into the pull of the sequence of images that is filled with constant unrest, and with restlessly floating energy.

 

Albrecht Gehse - History

In order to understand the painterly development of the cycle
“50 Bilder über die Welt”, it is important to have a look at the past of the painter.

 

Gehse started his career with gently shaped portraits in the tradition of realism that helped him with his spectacular breakthrough in the early eighties. Ever since, the artist, coming from the „Leipzig group“, has gone his own path. They have increasingly led him to expressive- visionary societal images with the exceptional peaks of the large programme pictures from the years 2004-2006 (“Varieté” [Vaudeville], “Das Narrenschiff” [Ship of fools], “Tischrunde” [Table company], “Orson Welles, nachdenklich” [Orson Welles, thoughtful], “Melodie der Kreuzzüge” [Melody of the cruzades], “Abdul mit dem Hammer” [Abdul with the hammer], ”Das Sklavenschiff” [Ship of slaves], “Glücksbringer” [Lucky charm], and others).

 

It is particularly interesting to compare his early paintings from the eighties in Leipzig to the state portrait “Bundeskanzler Helmut Kohl” [Federal chancellor Helmut Kohl].

The paintings of the eighties are all accomplished very delicately with little use of colours. They show the painter as a calm observer who takes charge of his opponent with psychologically deepened characteristics and immaculate painting.

Gehse’s protest performed in a variety of expressions against the omnipotence of the so-called party of the working, against their permanent battle clamour, against the open and secret patronising of individuals on behalf of a collective promise of happiness and salvation performed in a variety of expressions constitute the basic melody of his paintings of the eighties.

It echoes powerful in the emotionally soaked images “Siegfried Purfürst bei Nacht“(1981) [Siegfried Purfürst by night], “Siegfried Purfürst unterwegs” [Siegfried Purfürst on the road], “Umsiedlerpaar Blumrich” [Resettler couple Blumrich], “Alfred Florstedt” [Alfred Florstedt], “Frau mit Gesangbuch” [Woman with anthem book] (1986 all), “Mann mit Fisch” (1987) [Man with fish], and others.

Despite their external tranquillity, Gehse’s portraits used to be images of hidden confession; they formulated an anti-position to the collective spiritual condition of the official GDR, to its schematism from a ducked emotional attitude and complacency.

 

Gehse‘s Chancellor portrait of 2003

The face of Helmut Kohl (“Bundeskanzler Helmut Kohl“, 2003 [Federal Chancellor Helmut Kohl]) constitutes an antidote to the exact descriptions of the aspects in Gehse’s images of the eighties. In the chancellor’s portrait Gehse honours – after all it was a state order, a classical state portrait – the social position, the political and moral weight of this man. However, Gehse does not strive towards a portrait resemblance in the conventional sense.

There is a lucid pictorial description assembling a new reality in the picture from fragments of reality in the spirit of the painterly doctrine of modernism. This takes place by using earlier impressions of the painted object. As a result, the portrait of Helmut Kohl remains mysterious also in its psychological expression despite psychological impression.

There is no trace of timidity towards the complete otherness in large-scale politics that can be sensed in the works of many artists, and which slips in as a cognition filter between them and their models.

What Gehse first saw and then painted was the volcanic core of emotionality that Kohl lived on his entire political life. A face and hands in the most fervent colours of human skin. Rubens und Kokoschka painted this way if they wanted to picture passion, the hot flame of Eros. Gehse’s chancellor makes us clearly feel his aversion against the too tight casing of conventions, trying to set boundaries to the uniform suit-blue of the political class.

The head, the forehead, the eyes are in the centre. We are seeing a human without status symbols, an impatient person being on the go. Gehse does not even leave him the characteristic feature of the abundant body. His Kohl is far beyond the party tribune entering a room accompanied by rhythmic clapping, surmounting everybody. Gehse’s Kohl is only will, imagination and passion, and, even if this sounds strange, also suffering.

Albrecht Gehses Geschichtsbilder / Christoph Tannert

Wer sind wir? Diese ewige Suche nach dem Kern der deutschen Identität beschert dem ZDF derzeit Spitzenquoten.

Andererseits ist das Umkreisen des Nationalen in der Kunst unserer Tage von so geringem Interesse in der Kunstszene, dass es sich für die jüngere Malergeneration in Deutschland scheinbar nicht lohnt, einen Gedanken daran zu verschwenden.

Nichtsdestotrotz taugt sie Malern der mittleren Generation wie z.B. Moritz Götze, Jonathan Meese oder Albrecht Gehse durchaus noch dazu, sich thematisch aufklärerisch bohrend oder auch heiter bis ironisch mit ihr auseinanderzusetzen. Oftmals wird dabei der Typus „Historienbild“ selbst einer Prüfung unterzogen. 

Besonders in den USA wird diese Haltung mit großem Respekt gesehen. In der überwiegenden Mehrheit deutscher Museen herrscht dagegen die Meinung vor, seit der Fußballweltmeisterschaft von 2006 müsse man wieder Bedenken haben vor nationalem Überschwang und allem, was ihn begünstigen könnte.

Dabei ist das Kapitel pathetischer Nationalschau á la Anselm Kiefer, Markus Lüpertz, Gerhard Richter, Werner Tübke und Bernhard Heisig, die sich herumschlugen mit Erinnerungskomplexen und politisch korrekten Täter-Opfer-Perspektiven, längst abgeschlossen. 

Die, die neue Fragen stellen, etwa auch deutsche Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die sich nicht freiwillig herausschneiden mögen aus ihrer nationalen Haut und aus der Auslandsperspektive problemlos verstanden, ja geachtet werden, unterstreichen damit ihren Status, von den Zumutungen der Sorglosigkeit freie Forscher am National-Pol zu sein. 

In der Streitfrage, soll die neue deutsche Identität eine eher nationale oder eine europäisch-weltbürgerliche sein, gewinnen übrigens die Ostdeutschen mit ihrem Verständnis von deutscher Zusammengehörigkeit zusehends an Boden gegenüber den Versuchen, die anti-nationale, universalistische Ethik der alten Bundesrepublik von West nach Ost auszudehnen und für ganz Deutschland als identitätsstiftende Idee verbindlich zu machen. 

Bei Albrecht Gehse ist Kunst ästhetische Totalrevolution, mit der er sich immer wieder aus Geschichtslügen herausgräbt und revolutionäres Um- und Zusammendenken anmahnt. Gegenüber der abstrakten Moderne hat er den Vorwärtsgang eingelegt und mobilisiert sein realistisches und hellsichtiges Sehen als Mittel der Selbstbestimmung wie der Aufklärung.Malerei ist für Gehse Ferment der Umwälzung. Kunst erscheint hier als Agent des Aufruhrs gegen das Verschweigen und den provinziellen Kleingeist. In dieser Dimension steht er den expressionistischen Avantgardisten des frühen 20. Jahrhunderts nahe.Für Albrecht Gehse spielte das Nachdenken über deutsche Geschichte, aber auch „das Deutsche als ästhetische Unmöglichkeit“, wie Peter-Klaus Schuster es im Rahmen der Schau „Das XX. Jahrhundert . Ein Jahrhundert Kunst in Deutschland“  einmal formuliert hat, eine besondere Rolle.Die Frage nach dem Deutschen in der deutschen Kunst reißt bis heute alte Wunden auf in der Diskussion unter Künstlern und Kunsthistorikern in Deutschland. Martin Warnke, Werner Hofmann, Hans Belting und Volker Gebhardt haben sich diesbezüglich mit vielbeachteten Publikation zu Wort gemeldet. Das führte auf quasi therapeutischem Wege zur „Auflösung von nationalen Klischees“, wie Eduard Beaucamp in Bezug auf Werner Hofmanns Position argumentierte. Alle Autoren klammerten freilich in ihren Betrachtungen die in der DDR geführte Diskussion um das „nationale Erbe“ aus.  Und Aussagen von Georg Baselitz („Deutsche Kunst zeichnet sich durch ihre Eigenarten aus: Primitivität, Expressivität, Religiosität, Weltanschauliches.“) oder von Jörg Immendorf (der auf die Frage, woran es liege, dass besonders deutsche Maler gegenwärtig so gefragt sind, antwortete: „Ich glaube, wir hängen uns besonders rein. Es gibt ja nicht nur deutsche Untugenden, sondern auch Tugenden, und dazu gehört eben nicht nur die handwerkliche Fähigkeit, sondern der Enthusiasmus, der Fanatismus.“) werden überbewertet. Man sollte deshalb die Relativität spezifisch ost- oder westdeutscher Positionen nicht übersehen und eingefahrene Denkschemata vermeiden. Albrecht Gehse, der in der DDR gelebt hat, stellt sich bewusst einer gesamtdeutschen Geschichtsperspektive und sieht sich zu Recht in einer Traditionslinie, die bei Corinth ihren Ausgang nimmt und über Beckmann bis zu Bernhard Heisig läuft (dessen Schüler Gehse ist).Seit Jahren arbeitet Gehse an einem Bilderzyklus, der Nationalfragen und Welttheater miteinander verknüpft. Kapitelweise geht es dabei um die Frage: Wie wirkt historische Schuld auf kollektive deutsche Identität?  Gehse ist sich bewusst, dass Historienbilder Identität versprechen und dass es nicht einfach ist, dieses Versprechen zu halten. Denn eine ungebrochene Identität gibt es für die Deutschen nicht. Und weder mit Bildern noch mit den schönsten Barockschloßornamenten lässt sie sich erfinden.Gehses Bilder stehen mal in einem derben, mal in einem sezierenden, mal in einem mythischen Verhältnis zur kollektiven Schuld und Identität, aber immer sind sie herausragend in der Illustration der vielfältigen Zusammenhänge.

History Paintings by Albrecht Gehse / Christoph Tannert

Who are we? This eternal quest for the core of German identity currently bestows top ratings on ZDF, the Second German Television broadcaster.

On the other hand, revolving around the idea of nationality in contemporary art is of such a low interest in the arts scene that it’s apparently not worthwhile for the young painter generation to waste any thoughts on it.

Nonetheless, it definitely suits for painters of the mid generation like Moritz Götze, Jonathan Meese, or Albrecht Gehse to deal with this topic in an informative-probing or a cheerful and ironic way. In many cases, “history painting” as such becomes a subject to scrutiny.

This approach is viewed with great respect, especially in the US. The majority of German museums, however, opine that overwhelming national enthusiasm, or anything that could facilitate it, should be eyed with suspicion.

And yet, the chapter of dramatic national shows à la Anselm Kiefer, Markus Lüpertz, Gerhard Richter, Werner Tübke, who were struggling with memory complexes and politically correct perpetrator-victim perspectives, has been closed long ago.

Those asking new questions, such as German authors, who do not want to be cut out of their national skin and are understood and respected from abroad without any difficulties, emphasize their status of being researchers at the national pole free from any imposition of recklessness.

In the controversy of whether the new German identity should be a national or rather a European-cosmopolitan one, the East-German understanding of German solidarity is increasingly gaining ground against the attempts of expanding the anti-national, universalistic ethics of the old Federal Republic of Germany from West to East, making it mandatory as an identity-establishing idea for the whole of Germany.

The art by Albrecht Gehse is an aesthetic total revolution consistently helping to lift himself out of historical lies admonishing of revolutionary rethinking and conceptual realignment. In contrast to abstract modernism, he has engaged a forward gear and mobilizes his realistic and clear-sighted vision as a means of self-determination and elucidation.

To Gehse, painting is an instrument of cataclysm. Art appears here as an agent of revolt against concealment and provincial small-mindedness. In this dimension, he is close to the avantguardists of expressionism of the 20th century.

Reflection on German history, but also “the German as an aesthetic impossibleness” – as formulated by Peter-Klaus Schuster on the occasion of the exhibition „The 20th century. A century of art in Germany”, has always played an important role.

Until the present day, the question for what is German in German art is opening old sores in discussions among artists and art historians in Germany. Martin Warnke, Werner Hofmann, Hans Belting, and Volker Gebhardt have published much-noticed works on this topic. This has led to the “dissolving of national clichés” with almost therapeutic methods – as Eduard Beaucamp argued relating to Werner Hofmann’s position.

Needless to say that all authors left aside in their deliberations the debate on the “national heritage” conducted in the GDR. And statements by Georg Baselitz (“German art is characterised by primitiveness, expressiveness, religiosity, ideology“) or by Jörg Immendorf (who answered to the question, why it is especially German painters who are currently so much demanded: “I believe that we make particular effort. Germans do not only have vices but also virtues, which do not only involve craftsmanship but also enthusiasm and fanaticism.”) are being overestimated. Therefore, the relativity of specifically East- or West-German positions should not be ignored and habitual thought patterns be avoided.

Albrecht Gehse, who used to live in the GDR, is deliberately facing an all-German perspective of history, rightfully seeing himself in a line of tradition starting with Corinth, going over Beckmann up to Bernhard Heisig (whose disciple Gehse is).

Gehse has been working on a cycle of paintings for several years, linking the national issue to the global theatre. Chapter for chapter, it revolves around the question “how does historical guilt affect collective German identity? Gehse is aware of the fact that history paintings promise identity – a promise that is not easy to keep. For there is no such thing as unbroken identity for Germans. And it can be invented neither with paintings nor with the most beautiful baroque palace ornaments.

Gehse’s paintings are related to collective guilt and identity at times with roughness, at times dissecting, and at times in a mythical way, but they are always outstanding in depicting the manifold coherences.

Prof. Udo Scheel - Markttendenzen, Kunstentwicklungen, Albrecht Gehse

Ein Kunstmarkt wie die ART COLOGNEist nicht in erste Linie ein Indikator für Kunstentwicklungen, sondern für Markttendenzen. Erfreulich fand ich die Präsentation der informellen Malerei mit Spitzenwerken von K.D. Götz, Schultze, Schumacher, Grautner, Richter.( mit kleinen Formaten). Erfreulich auch Norbert Kricke mit einigen exzellenten Plastiken.

Eine komplexe gegenstandbezogene Malerei sieht man eher selten.

Norbert Tadeusz mit einem großem Akt, Dieter Krieg, David Lynch als Maler überraschte mit einem Tableau von seltsamer Eindringlichkeit.

Nichts erscheint mir kunst-und auch wirklichkeitsfremder als der sogenannte Realismus in allen Facetten, blendet er doch die eigentliche schöpferische Denkarbeit, die sich konzeptionell im Malprozess niederschlägt, aus.

Damit haben A. Gehses Bilder nichts zu tun.

Albrecht Gehses Bilder leben nicht von Foto-Vorlagen (Comics, Werkanweisungen).

Mit malerischem Furor fegt er abbildungstechnische Schematismen weg. Ziel und Ergebnis seiner Arbeit ist die wuchtige unausweichliche Präsenz der MALEREI selbst, die zahlreiche figurative Elemente und landschaftlich-architektonische Texturen unauflösbar im BILD zusammenschließt.

Das ist etwas anderes als eine realistischeVersatzstücke-Ansammlung nach bewährtem Collageprinzip zu addieren und zu einem bemüht-rätselhaften Szenario zu verbinden.

M. E. fehlt der sogenannten Neuen Leipziger Schuledie Erfahrung der experimentellen Moderne und des gegenständlichen und abstrakten Expressionismus.

So sehr bei Albrecht Gehse die barockeFülle der Figuren beim Betrachter weitläufige Assoziationsräume öffnet, im Spannungsfeld zwischen Dokumentation und Vision, zwischen Realität und Traum, zwischen Erinnerung und Gegenwärtigkeit in einer zeit-räumlichen Gemengelage mit überraschenden Konstellationen, bleibt doch stets das gemalte Bild als Kunstwerk die höchste Kategorie.

Das Grosse Welttheater (All the world is a stageShakespeare) und das Narrenschiffwerden nicht durch suggerierte Handlungen aktiviert, sondern durch pure Malerei zu Bildformen transformiert,- als konstituierende Elemente einer Großkomposition.

Albrecht Gehse ist ein moderner Maler, der sich u.a. mit der intensiven Erfahrung eines gründlichen Naturstudium, auf dem Boden der großen europäischen Maltradition bewegt: Signorielli, Tintoretto, RubensBeckmann, Corinth und auch die neuesten Tendenzen figurativ-poetischer Malerei. Mit dem Respekt vor großer Malerei entfaltet Gehse als leidenschaftlicher Maler mit hohen Risikobereitschaft sein malerisches Experiment zwischen Explosionund Verdichtung. Zwischen den Polen von purer Malerei, historisch-thematischer Orchestrierungund persönlicher Lebens- und Welterfahrung entsteht eine authentische und unverwechselbare individuelle Ausdrucksform von einer Komplexität, die hohe Anforderungen an den Betrachter stellt.

Gehse ist ein Portraitist von hohem Rang. Analytische Beobachtungsgabe, psychologisches Einfühlungsvermögen, Mitmenschlichkeit und hohes malerisches Können halten sich die Waage.

Heute trägt der Zusammenhang zwischen physiognomischer Ausdruckkraft (einschließlich entlarvender Verformungen u. Zuspitzungen) und malerischer Vehemenz ganz wesentlich zur Strahlkraft, Ausdruckstiefe und künstlerischer Qualität der Bilder von Albrecht Gehse bei.

Prof. Udo Scheel - Market Tendencies, Art Developments, Albrecht Gehse

An art market such as “ART COLOGNE” is first of all no indicator for art developments but for market tendencies. I was pleased to see the presentation of informal painting with top oeuvres by D. Götz, Schultze, Schumacher, Grautner, Richter….(with small formats). Some excellent plastics by Norbert Kricke were very pleasing, too.

There are hardly any complex, subject-related paintings.

Norbert Tadeusz has surprised us with a large nude, Dieter Krieg and David Lynch with a tableau of peculiar poignancy.

There is nothing more alien to art and more unrealistic than the so-called realism in all its facets, for it fades out the actual creative mental work that is conceptionally reflected in the painting process.

The paintings of A. Gehse have nothing to do with that. They do not live from photographic models (comic strips, work instructions).

He sweeps away all schematisms of illustration. The goal and the result of his work is the massive and inevitable presence of PAINTING itself, which indissolubly incorporates a number of figurative elements and landscape-architectural textures in the PICTURE.

This is something different than a “realistic” accumulation of set pieces according to the tried and tested collage principle, linking them to a forcedly enigmatic scenario.

In my opinion, the so-called ”Neue Leipziger Schule” (New Leipzig Group) lacks the experience of experimental modernism and of objective and abstractive expressionism.

Much as Albrecht Gehse’s baroque “abundance” of his figures opens spacious associations in the tension field between documentation and vision, between reality and dream, between remembering and presence in a mixture of space and time with surprising constellations, the painted picture always remains the highest category.

The Big World Theatre (All the world is a stage…Shakespeare) and the “Narrenschiff” (Ship of Fools) are not activated by suggested actions but transformed into image forms by pure painting, - as constituent elements of a great composition.

Albrecht Gehse is a modern painter, moving within the framework of the great European painting tradition with the intensive experience of a thorough study of nature: Signorielli, Tintoretto, Rubens…Beckmann, Corinth, and also the newest tendencies of figurative-poetic painting. While respecting the great painters, Gehse, unfolds his painting experiment with passion and high risk-taking between “explosion” and compaction. An authentical and unmistakable individual form of expression arises between the poles of pure painting, historical-topical orchestration and personal life and world experience, which make high demands on the viewer.

Gehse is a high-ranking portraitist. Analytical observation force, psychological empathy, humanity, and high painting skills are balanced.

Today, it is the relationship between physiognomic expressiveness (including unmasking deformations and exaggerations) and painterly vehemence that make a significant contribution to the charisma, depth of expression and artistic quality of the paintings of Albrecht Gehse.